Sie befinden sich auf: nepalhospital.de / nepal - geschichte nach 1950
Sushma Koirala Memorial Hospital Header

Geschichte bis 1950 | Geschichte nach 1950 | Nepalesischer Kalender

Mit freundlicher Unterstützung von Dr. Karl-Heinz Krämer (nepalresearch.org)

Mit der Abschaffung des Rana-systems (1950/51) betrat Nepal vorsichtig das Zeitalter der Moderne. Die Masse der Menschen lebte zu jenem Zeitpunkt fast ausschließlich von Subsistenzlandwirtschaft. Es gab weder ein Bildungs- noch ein Gesundheitswesen. Einige wenige infrastrukturelle Einrichtungen konzentrierten sich auf das Kathmandutal. Der Rest des Landes lebte im tiefsten Mittelalter. Es gab nur eine ganz dünne wirtschaftlich opulente Oberschicht, die in erster Linie aus Angehörigen der Rana- und Shah-Familien bestand. Relativ besser gestellt waren auch die Kaufmannskaste der Newar (Shrestha) im Kathmandutal sowie einige Brahmanen- und Chhetri-Familien, deren Vorfahren im Rahmen der militärischen Einigung des Landes zu einem gewissen Maß an Landbesitz gelangt waren. Politisches Bewußtsein war bei der Masse der Bevölkerung nicht existent; es beschränkte sich vor allem auf die überwiegend den Brahmanenkasten angehörenden Exilnepali, die 1951 aus Indien zurückkehrten, sowie eine dünne gebildete Schicht im Kathmandutal. Bei letzterer handelte es sich vor allem um obere Kasten der Newar, deren traditionelles Siedlungsgebiet das Tal von Kathmandu war.

Die Geschichte des modernen Nepal nach 1950 läßt sich grob in drei Abschnitte einteilen:
- die Phase “demokratischer Experimente”, die aber letztlich auf eine Restauration königlicher Macht hinauslief (1951-1960)
- die Phase absolutistischer königlicher Machtausübung unter dem Deckmantel der Scheindemokratie des Panchayat-Systems (1961-1990)
- die bis heute andauernde Phase der Demokratisierung, die in zwei Abschnitten erfolgte, in welche ein mehr als zehnjähriger maoistischer Aufstand und ein königlicher Putsch eingebettet waren

Demokratische Experimente (1951-1960)
Zwei Könige prägten das Bild der 1950er Jahre, der kränkelnde Tribhuvan und ab 1955 sein selbstbewußter und machtorientierter Sohn Mahendra. Am 18. Februar 1951 hatte König Tribhuvan in einer historischen Proklamation den Aufbau eines demokratischen Systems auf der Grundlage einer Verfassung versprochen, die von der vom Volk zu wählenden verfassunggebenden Versammlung entworfen werden sollte. Die vorübergehend eingesetzte Koalitionsregierung aus Vertretern der Ranas und des Nepali Congress (NC) zerbrach bereits im November 1951, womit die Führungsrolle der Ranas endgültig beendet war. Danach nutzte Tribhuvan geschickt die Unerfahrenheit und Uneinigkeit der Parteipolitiker, die er wiederholt gegeneinander ausspielte. So beauftragte er dreimal Matrika Prasad Koirala vom NC mit der Regierungsbildung und überging bewußt dessen Halbbruder Bishweshwar Koirala, der die Partei im indischen Exil gegründet hatte und seither der herausragende Führer des NC war. Angesichts ihrer Unerfahrenheit wandten sich die NC-Politiker kontinuierlich Rat suchend an indische Politiker, insbesondere an solche des Indian National Congress, was dazu führte, daß dem NC bis heute eine zu enge Verbindung zu Indien angelastet wird. Die indischen Führer wiederum betrachteten Nepal als einen der zahlreichen Fürstenstaaten Indiens, von dem sie über kurz oder lang erwarteten, daß auch er sich der Indischen Union anschließen werde.

Die Schwäche der nepalischen Parteipolitiker erleichterte es König Tribhuvan, die hochgesteckten Ziele einer Demokratisierung des Landes immer mehr in Vergessenheit geraten zu lassen. So wurde die für spätestens 1953 angekündigten Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung immer weiter hinausgezögert. Gleichzeitig wurde die übergangsverfassung von 1951 durch nicht weniger als sechs Verfassungsänderungen innerhalb von drei Jahren vieler ihrer positiven Ansatzpunkte beraubt.

Als Tribhuvan am 14. März 1955 starb, folgte ihm sein ältester Sohn Mahendra auf dem Thron. Dieser machte von Anbeginn an klar, daß er die politische Führung des Landes für sich beanspruchte. Wiederholt übernahm er selbst die Regierungsleitung und umgab sich dabei mit einer Gruppe von Beratern oder er beauftragte kleine, völlig unbedeutende Parteien mit der Regierungsbildung. Erst als der Druck auf König Mahendra immer größer wurde, erklärte er sich zur Abhaltung von Parlamentswahlen bereit, die auf der Grundlage einer Verfassung erfolgen sollten, die er von einem Gremium von Experten entwerfen ließ.

Außenpolitisch sorgte Mahendra dafür, daß Nepal in die UN aufgenommen wurde. Außerdem erweiterte er die Zahl jener Länder, mit denen Nepal diplomatische Beziehungen unterhielt. Schließlich tat sich Mahendra auch noch als einer der Gründungsväter der Blockfreienbewegung hervor. Zu Indien ging er bewußt auf Distanz, um die Unabhängigkeit Nepals zwischen Indien und China zu wahren, und machte die kritische Haltung gegenüber Indien zu einem wesentlichen Bestandteil des von ihm aufgebauten neuen nepalischen Nationalismus. Dies kam beispielsweise auch in so banalen Dingen zum Ausdruck wie dem Verbot der Verwendung einer anderen Unterrichtssprache als Nepali selbst in der Tarai-Region, wo viele Menschen indische Muttersprachen verwenden wie Maithili, Bhojpuri oder Awadhi.

Am 18. Februar 1959 fanden die ersten Parlamentswahlen in Nepal statt, nur eine Woche nach dem Inkrafttreten einer Verfassung, die zwar demokratische Elemente enthielt, im Kern aber die Machtansprüche der Monarchie untermauerte. Dank des Direktwahlsystems gewann der NC mit nur 37% der Stimmen mehr als zwei Drittel aller Sitze. Die Deutlichkeit dieses Sieges schien auch Mahendra geschockt zu haben, der sich fast ein Jahr lang mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhielt, obgleich Premierminister Bishweshwar Prasad Koirala vor den Wahlen getönt hatte, er werde dafür sorgen, daß die nepalische Königskrone und das Idol von Pashupatinath, dem höchsten Shiva-Heiligtum Nepals, ins nepalische Museum wanderten.

Sowohl innen- als außenpolitisch erwiesen sich die nur eineinhalb Jahre der NC-Regierung als schwierig. Im Innern hatte die Regierung nicht nur mit alltäglichen Problemen wie Versorgungsengpässen, Klimakapriolen und Mißernten zu kämpfen, sondern sie sah sich auch einer wachsenden Unzufriedenheit konservativer Gesellschaftskreise ausgesetzt. Außenpolitisch war dies eine Phase, in der die Spannungen zwischen China und Indien nach der Niederschlagung des Aufstands in Tibet immer mehr zunahmen.

Unabhängig davon waren die Gründe, die König Mahendra anführte, warum er am 15. Dezember 1960 mit Hilfe der Armee putschte, die gesamte Regierung und viele andere Politiker verhaften ließ und das gewählte Parlament auflöste, fadenscheinig. Drei Wochen später verbot er alle politischen Parteien, behauptete, ein demokratisches System westlichen Musters sei für Nepal völlig ungeeignet und kündigte den Aufbau eines “demokratischen” Rätesystems an, von dem er entgegen aller Realitäten behauptete, es sei ein uraltes nepalisches System. Die von ihm verhafteten Politiker saßen bis 1967, zum Teil sogar bis Anfang der 1970 Jahre, ohne Prozeß im Gefängnis.

Das Panchayat-System (1961-1990)
Dieses neue politische System bestand aus vier Stufen: Dörfer/Städte, 75 Distrikte, 14 Zonen und nationale Ebene. Das Volk wurde nur auf der untersten Ebene beteiligt. Die dort gewählten Repräsentanten wählten aus ihrem Kreis die Vertreter der nächsthöheren Ebene usw. [siehe chart_panchayat_system.jpg] Um dies am Beispiel der Dörfer zu erläutern: Der Begriff “Dorf-Panchayat” bezog sich sowohl auf das Territorium eines Dorfes (oder besser einer Gemeinde, denn es wurden meist mehrere Dörfer zu einem solchen Dorf-Panchayat zusammengefaßt) als auch auf den gewählten politischen Rat desselben. Das Territorium eines Dorf-Panchayats war in neun Bezirke eingeteilt. Die Bevölkerung jedes dieser Bezirke wählte ein fünfköpfiges Bezirkskomitee. Die Bevölkerung des gesamten Dorf-Territoriums wählte außerdem einen Bürgermeister (Pradhan Pancha) und seinen Stellvertreter. Letztere bildeten zusammen mit den Vorsitzenden der neun Bezirkskomitees den elfköpfigen Dorfrat, der eben auch als Dorf-Panchayat (Gaun Panchayat) bezeichnet wurde. Bei den Städten war das System entsprechend, doch hing hier die Anzahl der Bezirke von der Größe der Stadt ab, so daß also zum Teil erheblich mehr Personen im Stadtrat (Nagar Panchayat) saßen.

Die oberste lokale Ebene war der Distrikt, wo auch alle bedeutenden Entscheidungen lokaler Politik getroffen wurden. Hier waren auch wichtige Beamte der zentralen Regierung angesiedelt wie der Chief District Officer (CDO) und der Local Development Officer (LDO). Einzige Aufgabe der Zonenversammlung war es, aus ihren Reihen die Abgeordneten des Parlaments (National-Panchayat, Rastriya Panchayat) zu wählen. Bis zu 25% der Mitglieder des National-Panchayats wurden darüber hinaus vom König nominiert. Letzterer thronte über allem. “Alle exekutive, legislative und judikative Macht liegen in den Händen seiner Majestät und gehen von ihr aus”, hieß es in Artikel 21 der am 15. Dezember 1962 in Kraft gesetzten Verfassung. In diesem Sinne ernannte der König nach Belieben Regierungen oder setzte sie wieder ab, hatte die letzte Entscheidung bei der Formulierung von Gesetzen, ernannte die Richter des Obersten Gerichtshofes und die Kommissare der 14 Zonen sowie die Botschafter, war oberster Befehlshaber der Armee und besaß einschließlich allen Mitgliedern seiner Familie absolute rechtliche Immunität. Natürlich war jede Kritik am König und Mitgliedern seiner Familie bei Strafe verboten. Schon die Präambel sprach von einem monarchischem Regierungssystem; das Volk wurde nur als Untertanen des Königs definiert.

Widerstand gegen dieses System wurde nur in den frühen 1960er Jahren mit Duldung der indischen Regierung durch Mitglieder des NC aus dem indischen Exil organisiert. Damit war es jedoch vorbei, als es zum Grenzkrieg zwischen Indien und China kam. Mit der ersten Verfassungsänderung von 1967 stand das System; danach gab es eine ganz kurze Phase, in der die Monarchie eine Art Aussöhnung mit den Führern der politischen Parteien suchte und viele der inhaftierten Politiker aus dem Gefängnis freiließ. Da letztere aber eine Kooperation mit dem Panchayat-System ablehnten und ins Exil nach Indien gingen, war diese Aussöhnungsphase rasch wieder vorbei. Ende der 1960er Jahre kamen zu dem vom NC aus dem indischen Exil organisierten Widerstand auch noch militante Aktivitäten seitens junger Kommunisten im äußersten Südosten des Landes. Dieser von der radikalen indischen Naxaliten-Bewegung im benachbarten Darjeeling-Distrikt inspirierte Widerstand ist nach dem östlichen Tarai-Distrikt Jhapa als Jhapali-Bewegung in die Geschichtsbücher eingegangen.

Das Panchayat-System reagierte jedoch mit großer Härte, woran sich auch unter dem neuen König Birendra nichts änderte, der nach dem Tod seines Vaters Mahendra am 31. Januar 1972 den Thron bestieg. Die zweite Verfassungsänderung vom 15. Dezember 1975 brachte sogar noch eine Verschärfung des Systems. Erst im Frühjahr 1979 geriet das Panchayat-System erstmals ins Wanken. Studenten hatten vor der pakistanischen Botschaft gegen die Hinrichtung des früheren pakistanischen Premierministers Zulfikar Ali Bhutto demonstriert. Diese Demonstration wurde auf die übliche Weise von der Polizei niedergeknüppelt, doch war dies der Auslöser für wochenlange Demonstrationen der Studenten, bei denen es zunächst um studentische Anliegen ging. Da die diversen Studentenorganisationen eng mit den verbotenen Parteien liiert waren, schlossen sich bald auch politische Forderungen an; die Parteien nutzten diese Entwicklung als Trittbrettfahrer. Als die Situation in Kathmandu zu eskalieren drohte, kündigte König Birendra am 24. Mai 1979 die Durchführung eines nationalen Referendums an, bei dem das Volk darüber entscheiden sollte, ob Nepal zum Vielparteiensystem zurückkehren oder das Panchayat-System mit “zeitgemäßen Reformen” beibehalten solle.

Das Referendum fand am 2. Mai 1980 statt. Unabhängige Beobachter waren nicht zugelassen. Die Panchayat-Seite wurde mit rund 55% Stimmenanteil zum Sieger erklärt. Die wichtigsten “zeitgemäßen Reformen”, welche die dritte Verfassungsänderung vom 15. Dezember 1980 brachte, waren
- Direkwahl der Parlamentsabgeordneten durch das Volk
- Ernennung des Premierministers auf Vorschlag des Parlaments
- Ministerrat gegenüber dem Parlament verantwortlich (Möglichkeit eines Mißtrauensvotums)

Es sollte noch zwei Parlamentswahlen auf dieser Grundlage geben, 1981 und 1986. Während das System 1981 die Lage noch voll im Griff hatte, gelang es den verbotenen Parteien ab der Mitte der 1980er Jahre, Parteimitglieder als Kandidaten einzuschleusen. Bei den Wahlen von 1986 wurden neun Kommunisten in den National-Panchayat gewählt. Als 1987 lokale Wahlen anstanden, folgte auch der NC diesem Beispiel mit der Folge, daß beispielsweise der Bürgermeister von Kathmandu ein bekanntes Mitglied des NC war.

Aber auch sonst zeichnete sich der Niedergang des Panchayat-Systems unaufhörlich ab, sei es durch Schwächen bei der Versorgung, der Infrastruktur oder bei der Bewältigung von Naturkatastrophen wie dem Erdbeben von 1988, sei es durch ungeschicktes außenpolitisches Taktieren zwischen China und Indien. Als Indien am 19. März 1989 eine Wirtschaftsblockade über Nepal verhängte und bis auf zwei sämtliche Grenzübergänge schloß, hatte dies gravierende Auswirkungen auf die Versorgung der Städte und des Tarai. Erst nach der Wahlniederlage Rajiv Gandhis in Indien im November 1989 entspannte sich diese Lage etwas, doch war der Unmut innerhalb der Bevölkerung schon so groß, daß die Verbotenen Parteien die Gunst der Stunde nutzen. Erstmals kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen NC und der inzwischen in zahlreiche Gruppen aufgespaltenen kommunistischen Partei. Der NC organisierte gemeinsam mit der United Left Front, einem Bündnis von sieben linken Parteien, sowie zwei Menschenrechtsorganisationen eine Demokratiebewegung, die am 18. Februar 1990 begann und das Panchayat-System innerhalb von nur zwei Monaten hinwegspülte.

Demokratisierung (zweiter Versuch)
Am 19. April 1990 wurde eine übergangsregierung unter Premierminister Krishna Prasad Bhattarai eingesetzt, der je drei Minister des NC und der Linken sowie zwei Vertreter der beiden Menschenrechtsorganisationen angehörten. Außerdem gab es noch zwei Vertraute König Birendras im Kabinett. Am 9. November 1990 trat eine neue Verfassung in Kraft, die von Verfassungsexperten entworfen worden war, welche von den an der Regierung beteiligten Parteien nominiert worden waren. Das Problem dieser Kommission: Sie bestand nur aus Männern, die, mit einer Ausnahme, aus dem Kreis der sogenannten hohen Hindukasten stammten. Dies hatte die fatale Folge, daß die auf den ersten Blick sehr demokratisch anmutende Verfassung gravierende Mängel in Bezug auf die Rechte und die Beteiligung der Frauen, der ethnischen Minderheiten, der Dalits und der indischstämmigen Madhesi-Bevölkerung aufwies. Vor allem hielt die Verfassung am Hindustaat fest, zu dem traditionell ein hierarchisches Gesellschaftsdenken gehört, eben das jener Elite, deren Vertreter die Verfassung entworfen hatten.

Die wichtigsten Merkmale der neuen Verfassung sahen wie folgt aus:
- ausführlicher Katalog demokratischer Grundrechte (eingeschränkt durch das Hindustaatsdenken)
- Exekutive aus Ministerrat und König (letzterer nur formell beteiligt)
- Legislative bestehend aus einem Zweikammerparlament (für fünf Jahre direkt gewähltes Repräsentantenhaus mit 205 Abgeordneten; Nationalversammlung mit 60 Abgeordneten, die jeweils für 6 Jahre bestimmt wurden, wobei alle zwei Jahre ein Drittel ausgetauscht wurde und 10 der Abgeordneten vom König nominiert wurden)
- unabhängige Gerichtsbarkeit
- Oberkommando über die Armee beim König, aber Entscheidung über Einsatz der Armee beim Nationalen Verteidigungsrat (Premierminister, Verteidigungsminister, oberster General)

Am 12. Mai 1991 fanden die ersten freien Parlamentswahlen auf der Grundlage der neuen Verfassung statt. Bereits im Vorfeld der Wahlen veränderte sich die politische Parteienlandschaft. So schlossen sich die beiden bedeutendsten Linksparteien zur Communist Party of Nepal (Unified Marxist Leninist) oder kurz CPN (UML) zusammen. Die meisten der ehemaligen Panchas, also der Funktionäre des Panchayat-Systems, schlossen sich in der Rastriya Prajatantra Party (RPP) oder National Democratic Party zusammen, die zunächst in zwei Gruppen aufgespalten war. Viele Panchas wurden aber auch vom NC mit offenen Armen empfangen.

Als klarer Sieger aus den ersten Wahlen ging der NC hervor, dessen Führer es verstanden hatten, sich als die einzig wahre demokratische Partei des Landes zu verkaufen. Der Sieg des NC von 1991 wurde quasi als rechtmäßige Fortsetzung der NC-Regierung von 1959 gewertet, die durch den königlichen Putsch von 1960 so abrupt beendet worden war. Sehr stark war aber auch die gerade erst geschaffene CPN (UML) als mit Abstand bedeutendste Oppositionspartei; auffallend stark war diese Partei im Kathmandutal und im Osten des Landes. Dritter bei den Wahlen wurde ein loses Bündnis linksextremer Parteien, deren parlamentarischer Koordinator kein geringer war als Baburam Bhattarai, heute einer der Hauptführer der CPN (Maoist). Die beiden Gruppen der RPP gingen völlig unter. Erwähnenswert sind auch die hohe Wahlbeteiligung mit rund 65% sowie das friedliche und euphorische Wahlverhalten der Bevölkerung.

Auf der Grundlage des Wahlergebnis konnte der NC eine Alleinregierung bilden. Da Premierminister Krishna Prasad Bhattarai in seinem Wahlbezirk dem jungen UML-Ideologen Madan Bhandari unterlegen war, wurde der Generalsekretär des NC, Girija Prasad Koirala, neuer Premierminister. Leider wich die anfängliche Euphorie schon bald einer großen Ernüchterung. Es kam nicht, wie erhofft und notwendig, zu einer Weiterentwicklung der Demokratie durch Arbeit auf parlamentarischer Ebene. Die von der Verfassung vorgegebenen staatspolitischen Richtlinien wurden völlig mißachtet und die politischen Parteien bemühten sich nicht um interne demokratische und inklusive Strukturen. So blieb die Politik auch nach 1990 das Geschäft einer kleinen männlichen Elite, insbesondere Brahmanen, die sich gegenseitig auch innerhalb der eigenen Partei um Macht, Einflußnahme und Profitgier bekämpften. Korruption, die früher unter dem Tisch erfolgte, wurde jetzt ganz öffentlich gehandhabt; man hatte ja Demokratie.

Die CPN (UML) die im Parlament eine rationale Oppositionspolitik gegen dieses Gebaren hätte betreiben können, verlegte ihre Politik schon bald auf die Straße. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit kam es zu Demonstrationen oder es wurden Generalstreiks (bandh oder banda) ausgerufen. Was wie die Ausübung eines demokratischen Rechtsmittels klingt, bedeutete in Wirklichkeit Militanz und Willkür; wer einen Streikaufruf nicht befolgte, der wurde verprügelt und sein Fahrzeug oder sein Geschäft wurden zertrümmert. Diese damals geborene bandh-Praxis wurde fortan von allen Parteien, Organisationen oder Sozialgruppen aufgegriffen, wenn es darum ging eigene Anliegen oder Forderungen durchzusetzen. Sie hat sich bis heute gehalten. Es gibt keinen Tag, an dem nicht irgendwo in Nepal ein bandh stattfindet, meist sind es deren mehrere.

Da der NC intern seit seiner Gründung nie eine geschlossene Einheit dargestellt hatte, dauerte es auch nicht lange, bis sich Grabenkämpfe innerhalb der Regierungspartei auftaten. Rädelsführer waren Leute wie Krishna Prasad Bhattarai, Ganesh Man Singh und Sher Bahadur Deuba. Schon nach dreieinhalb Jahren bat Girija Prasad Koirala den König um Auflösung des Parlaments und Ansetzung von Neuwahlen, weil er seine Politik innerhalb des Parlaments nicht mehr richtig durchsetzen konnte. Einer der Gründungsväter des NC und Hauptführer der Demokratiebewegung von 1990, Ganesh Man Singh, trat sogar aus der Partei aus und ließ bei den vorgezogenen Neuwahlen von 1994 Rebellenkandidaten gegen die offiziellen Kandidaten des NC antreten. Die Folge war eine schwere Wahlniederlage des NC. Die Wähler bewiesen erneut Demokratieverständnis und bestraften die schwache Regierungsleistung des NC. Die CPN (UML) erhielt absolut zwar immer noch weniger Stimmen als der NC, verbesserte sich aber deutlich und errang dank des direkten Wahlsystems und der NC-Rebellen eine relative Mehrheit der Sitze.

Da keine Partei eine absolute Mehrheit errungen hatte, begann nun eine völlig chaotische Phase. Alle Parteien erwiesen sich als unfähig zu Koalitionsregierungen. Zunächst kam es zur Bildung einer UML-Minderheitsregierung unter Premierminister Man Mohan Adhikari, dem wohl aufrichtigsten Politiker der 1990er Jahre. Als diese Regierung durch populistische Maßnahmen wie der Zuweisung von Steuergeldern für eigene Projekte der lokalen Ebene oder der Einführung einer kleinen Mindestrente für alte Menschen Sympathien erwirtschaftete, setzte der NC alles daran, diese Regierung zu stürzen, weil man befürchtete, bei eventuellen Neuwahlen noch mehr Stimmen zu verlieren.

Nach harten Kämpfen hinter den Kulissen, einer Beantragung von Neuwahlen durch Premierminister Adhikari und der umstrittenen Erklärung der Verfassungswidrigkeit dieses Antrags durch den Obersten Gerichtshof wurde am 11. September 1995 eine Koalitionsregierung unter Premierminister Sher Bahadur Deuba (NC) gebildet, an der sich die RPP und die Nepal Sadbhavana Party (NSP), eine Partei aus dem Tarai, anschlossen. Diese Koalition hatte im Parlament nur eine Mehrheit von einer Stimme (103 von 205 Abgeordneten). Um die eigene Partei und die Koalitionspartner bei der Stange zu halten, erweiterte Deuba sein Kabinett auf zeitweise bis zu 48 Personen. Im Verlauf der nachfolgenden dreieinhalb Jahre gab es nicht weniger als 6 unterschiedliche Regierungen; zwei davon wurden von Premierministern geleitet, die verschiedenen Fraktionen der RPP angehörten, also von ehemaligen Premierministern des Panchayat-Systems. Diese opportunistische Politik stellte die ganze demokratische Reform von 1990 in Frage und verdeutlichte die internen Spaltungen der beiden großen Parteien, NC und CPN (UML). Während der NC zunächst noch eine offene Spaltung vermeiden konnte, zerbrach die CPN (UML) im März 1998; die abgespaltene Gruppe unter Führung von Bam Dev Gautam nannte sich CPN (Marxist Leninist), kurz CPN (ML).

Neben dem Negativverhalten der Parteipolitiker gab es in den 1990er Jahren aber auch noch eine andere Entwicklung, die ganz entscheidend zum Scheitern des 1990 initiierten Demokratisierungsversuchs beitrug. Dies war der maoistische Aufstand, der Mitte der 1990er Jahre im mittelwestlichen Bergland begann und sich im Lauf von 10 Jahren über das ganze Land ausdehnte. Zu einem Gutteil entlud sich über diesen Aufstand auch die ganze Enttäuschung großer Teile der Bevölkerung, die sich von der Demokratisierung eine angemessene Beteiligung und gleiche Chancen erhofft hatten und die angesichts der von den Politikern verschuldeten Entwicklungen keine Perspektive sahen.

Die Phase chaotischer Koalitionsregierungen wurde durch erneut leicht vorgezogene Neuwahlen beendet, die in zwei Etappen am 3. und 17. Mai 1999 stattfanden. Premierminister Girija Prasad Koirala (NC) hatte vor den Wahlen den auch in seiner Partei existenten Lagerbildungen den Wind aus den Segeln genommen, indem er ohne Absprache mit seinen Parteigenossen seinen ärgsten innerparteilichen Rivalen, Krishna Prasad Bhattarai, zum Spitzenkandidaten des NC erkoren hatte. Damit war diese Partei in einem klaren Vorteil gegenüber der seit Anfang 1998 gespaltenen CPN (UML).

Wie erwartet, konnte der NC wieder eine absolute Mehrheit der Sitze erringen. Dieses Ergebnis täuschte allerdings darüber hinweg, daß Wählergunst insgesamt seit 1991 immer mehr vom NC weiter nach links tendierte. Während die CPN (UML) wieder deutlich zweitstärkste Partei nach Sitzen wurde, konnte die abgespaltene CPN (ML) trotz namhafter Kandidaten nicht einen einzigen Sitz erringen, nahm der Mutterpartei aber sehr viele Stimmen weg. Wäre die Partei geschlossen in die Wahlen gegangen, hätte sie nicht nur erstmals mehr Stimmen als der NC erhalten, sondern auch eine noch deutlichere absolute Mehrheit der Sitze gewonnen. Es dauerte aber noch bis zum 15. Februar 2002, ehe sich die beiden kommunistischen Parteien wieder vereinigten.

Wer erwartet hatte, der NC würde mit seiner absoluten Mehrheit jetzt endlich wieder für Stabilität sorgen, sah sich getäuscht. Schon bald brach die alte Rivalität zwischen den NC-Führern wieder auf. Girija Prasad Koirala tat alles, um die von Bhattarai geführte Regierung möglichst rasch wieder zu Fall zu bringen, was ihm am 20. März 2000 gelang. Koirala übernahm wieder die Regierung, nachdem er eine parteiinterne Kampfabstimmung gegen Sher Bahadur Deuba gewonnen hatte. Auf dem NC-Parteitag im Januar 2001 trat Deuba bei der Abstimmung über den Parteivorsitz erneut gegen Koirala an und unterlag diesmal deutlich knapper.

Am 1. Juni 2001 kam es Königspalast zu einem Massaker, dem König Birendra und seine gesamte engere Familie zum Opfer fielen. Dieses Massaker wird wohl nie aufgeklärt werden, da keine kriminalistischen Untersuchungen stattfanden und die Leichen der Opfer noch am gleichen Tag verbrannt wurden. Offiziell wurde der ebenfalls ums Leben gekommene Kronprinz Dipendra zum Täter abgestempelt, doch ist der Bericht voller Widersprüche und Ungereimtheiten. Jedenfalls wurde Birendras einziger überlebender Bruder Gyanendra neuer König. Gyanendra war beim Massaker nicht anwesend gewesen, wohl aber sein Sohn Paras, der allerdings keinen Kratzer abbekam; ca. 3.500 auf dem Palastgelände stationierte Soldaten griffen angeblich nicht ein. Es hatten übrigens auch zwei kleine Enkelinnen Birendras überlebt, so daß ein Wechsel der Königsfamilie eigentlich nicht notwendig gewesen wäre.

Die Koirala-Regierung mußte sich schwerste Vorwürfe wegen der Versäumnisse bei der Aufklärung des Massakers gefallen lassen. Am 19. Juni trat Koirala zurück. Damit war die Stunde Sher Bahadur Deubas gekommen. Er bahnte einen direkten Dialog mit den aufständischen Maoisten an, der jedoch schon im November scheiterte, weil die Regierung im Gegensatz zu den Maoisten überhaupt keine Agenda hatte. Der maoistische Konflikt eskalierte nun völlig. Im Gegensatz zu seinem toten Bruder hatte König Gyanendra nichts gegen eine Mobilisierung der Armee einzuwenden. Außerdem wurden ein Ausnahmezustand verhängt und zahlreiche Grundrechte eingeschränkt. Verfassungsgemäß wurden diese Maßnahmen im Februar 2002 vom Parlament bestätigt und gleich um drei Monate verlängert. Da sich aber zeigte, daß Armeemobilisierung und Ausnahmezustand lediglich zu einer dramatischen Erhöhung der Opfer und Menschenrechtsverletzungen beitrugen, konnte Deuba Ende Mai im Parlament keine Mehrheit für eine erneute Verlängerung des Ausnahmezustands finden.

Damit war seine Regierung eigentlich gescheitert. Da sich Deuba aber an die Macht klammerte, bat er König Gyanendra um Parlamentsauflösung; Neuwahlen wurden für den November 2002 festgesetzt. Im Juli 2002 hätten eigentlich Wahlen zu den lokalen Gremien stattfinden müssen. Diese konnten wegen des Eskalation des maoistischen Aufstands und wegen des Ausnahmezustands aber nicht durchgeführt werden. Anstatt die Amtszeit der gewählten Gremien zu verlängern, löste Deuba sie auf und setzte Beamte ein. Damit gab es auf lokaler Ebene keine Demokratie mehr. Als sich abzeichnete, daß auch die Parlamentswahlen nicht termingerecht durchgeführt werden konnten, bat Deuba in Absprache mit anderen Parteiführern den König um eine Verschiebung des Wahltermins. Der einzige verfassungsgemäße Schritt wäre es gewesen, das aufgelöste Parlament wieder einzusetzen, wie es Artikel 53 (4) suggeriert, der eine Parlamentsauflösung von Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten abhängig macht. Gyanendra aber erklärte Deuba für unfähig und setzte seine Regierung ab. Die Pralamentswahlen verschob er auf unbestimmte Zeit. Fortan setzte er Regierungen nach seinem Gutdünken ein, ähnlich wie dies in der Panchayat-Zeit üblich gewesen war. Damit war die Demokratie auch auf nationaler Ebene tot. Das System von 1990 war gescheitert.

© 2007 INTERPLAST GERMANY e. V.
All rights reserved.´

Sankhu - Nepal, die Heimat des SKM-Hospitals, liegt in der Nordostecke des Kathmandutals cirka 16 km von der Hauptstadt Kathmandu entfernt.